Reizdarmsyndrom – wenn essen zur Qual wird

Geschrieben von Juliana Gutzmann
10 Minuten Lesezeit
26. Oktober 2020 zuletzt aktualisiert am 26. Mai 2023 von Annalena Gebhardt

Obwohl es jeden von uns tagtäglich begleitet, wird dieses Thema fast schon totgeschwiegen: Die Funktion des Magen-Darm-Traktes. Solange alles funktioniert wie es soll, muss man sich darüber auch kaum Gedanken machen. Bei jedem Siebten Deutschen ist das aber nicht der Fall. Stattdessen grollt und schmerzt es regelmäßig in der Bauchgegend. Es wird also Zeit, sich über die Funktion unseres Darms zu unterhalten.

Wenn die Stuhlkonsistenz variiert – mal fester, mal weicher – ist das erst einmal kein Drama. Die Konsistenz hängt davon ab, wieviel Wasser du getrunken oder wieviel und was du gegessen hast. Wenn du allerdings fast täglich mit Blähungen, Schmerzen, Durchfall oder Verstopfung kämpfst, könnte es sein, dass du ein Reizdarmsyndrom hast.

Inhaltsverzeichnis

    1. Symptome beim Reizdarmsyndrom

    Beim Reizdarmsyndrom (medizinisch „Colon irritabile“ genannt) ist die Darmfunktion gestört. Das kann aber sehr unangenehm sein und zu stressigen Situationen im alltäglichen Leben führen. Je nachdem, welche Symptome man hat, unterteilt man einen „Reizdarm“ in 4 Krankheitstypen:

    Die verschiedenen Auspägungen des Reizdarms können isoliert oder gemeinsam auftreten. Viele Betroffene haben mehrere oder alle Symptome, wobei sich die Symptome auch im Laufe eines Tages abwechseln können. Morgens Durchfall, Abends Verstopfung. Typisch ist, dass sich die Beschwerden nach dem Stuhlgang bessern.

    Weitere Symptome sind:

    • Völlegefühl
    • Gefühl der unvollständigen Entleerung
    • Schleimauflagerungen auf dem Stuhl

    2. Entstehung vom Reizdarmsyndrom

    Der Darm ist ein gewundener Muskelschlauch, der in Dünn- und Dickdarm unterteilt wird. Die Hauptaufgabe des Dünndarms ist das Verdauen der Nahrung. Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette werden durch Enzyme in ihre einzelnen Nährstoffbausteine zerlegt und durch die Dünndarmwand aufgenommen. Da dabei sehr viel Flüssigkeit entsteht, ist die Intention des Dickdarms dem Speisebrei wieder Wasser zu entziehen. Im Durchschnitt ist der gesamte Darmtrakt 4 bis 6,5 m lang und reicht vom Magen bis zum After. Eine große Fläche, auf der allerhand passieren kann. Es gibt zahlreiche Einflussfaktoren, die das Gleichgewicht ins Schwanken bringen und einen Reizdarm verursachen können.

    Gestörte Darmperistaltik (Motilitätsstörung)

    Die Hauptaufgabe des Darmmuskels ist es, die Nahrung durch Kontraktion vom Magen zum After zu befördern. Gesteuert wird das durch ein eigenes Nervensystem in der Darmwand, auch „Bauchhirn“ genannt. Wenn Nahrung in den Darm gelangt und die Darmwand dehnt, gibt das Bauchhirn den Impuls: „Anspannen und Erschlaffen“ an die Darmmuskulatur weiter. Dadurch, dass beide Befehle sich abwechseln und an den richtigen Stellen im Darm stattfinden, entsteht ein Flow, der den Speisebrei von oben nach unten transportiert. Stell dir einfach vor, du drückst eine Zahnpastatube aus.

    Gibt es Fehler in der Reizweiterleitung des Nervensystems, kann das ein Reizdarmsyndrom verursachen. Wenn die Befehle zur Muskelkontraktion  falsch weitergegeben werden, ziehen sich die Muskeln zu schnell, zu langsam oder im falschen Moment zusammen und der Nahrungsbrei wird nicht mehr gleichmäßig transportiert. Die Darmpassage (die Zeit, in der die Nahrung im Darm unterwegs ist) kann zu schnell oder zu langsam ablaufen.

    Eine zu schnelle Darmpassage verursacht Durchfall, da der Dickdarm nicht genug Zeit hat, die Flüssigkeit aus dem Nahrungsbrei zu ziehen.

    Eine zu langsame Darmpassage bewirkt das Gegenteil: der Stuhl wird hart und es kommt zu Verstopfung. 

    Eine dritte Möglichkeit der Störung ist, dass die Muskeln sich zu stark anspannen oder nicht mehr richtig entspannen können: Es kommt zu Krämpfen – typisch für den Schmerztyp.

    Erhöhte Immunaktivität in der Darmschleimhaut

    Wissenschaftler haben in der Darmschleimhaut von Reizdarmbetroffenen eine erhöhte Immunaktivität festgestellt. Das bedeutet, das sich z.B. in der Schleimhaut vermehrt Abwehrzellen des Immunsystems befinden. Der Grund ist bisher noch nicht bekannt.

    Erhöhte Durchlässigkeit der Darmschleimhaut

    Jede Zellen in der Darmschleimhaut ist mit ihrer Nachbarzelle über eine Art Haftbrücke (tight junctions) verbunden. Diese tight junctions verschließen die Zwischenräume und erschaffen eine Barriere, sodass Krankheitserreger und unerwünschte Stoffe nicht in den Körper eindringen können. Bei Menschen mit einem Reizdarm können die Verbindungen locker sein. Die Barriere wird durchlässig und Krankheitserreger, Fremdstoffe oder unverdaute Nahrungspartikel (Allergene) können in den Körper gelangen und dort eine Immunreaktion auslösen.

    Infektionen des Magen-Darm-Trakts

    In einem von 10 Fällen kommt es nach einer Magen-Darm-Infektion zu einem Reizdarmsyndrom. Verantwortlich für die Infektion ist z.B. das Bakterium Campylobacter jejuni, das in nicht durchgegartem Geflügelfleisch oder roher Kuhmilch vorkommen kann. Der Erreger verursacht 2-5 Tage nach der betroffenen Mahlzeit heftige Bauchschmerzen, Durchfall, Fieber und manchmal auch Erbrechen. Das aus dieser Infektion entstehende Reizdarmsyndrom ist meist der Durchfall-Typ.

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    Gestörte Darmflora

    Fast jeder hat in der Werbung schon mal von der „gesunden Darmflora“ gehört. Doch was bedeutet das eigentlich genau? In einem gesunden Darm befindet sich eine natürliche Mischung von nützlichen Bakterien – „Darm-Mikrobiom“ genannt. Diese guten Bakterien schützen den Darm, verdauen Ballaststoffe und bilden daraus nützliche Stoffe für die Darmzellen. Außerdem bilden sie zusammen mit der Darmschleimhaut eine Barriere gegen Krankheitserreger aus der Nahrung. Wie? Sie produzieren Milchsäure, die den pH-Wert innerhalb des Darms senkt: sehr ungemütlich für „böse“ Bakterien.

    Wenn das Darm-Mikrobiom aus dem Gleichgewicht gerät (z.B. durch Antibiotika oder einen Magen-Darm-Infekt) ist auch die Immunabwehr gestört und Krankheitserreger können sich vermehren.

    Gestörter Serotoninhaushalt

    Serotonin ist ist ein Botenstoff, der in unserem Nervensystem Informationen weitergibt – ein Neurotransmitter. Falls du jetzt denkst „das Wort kommt mir bekannt vor“: Serotonin wird häufig in Zusammenhang mit Schokolade erwähnt. Der in Schokolade enthaltene Kakao enthält Tryptophan. Tryptophan ist die Vorstufe des Serotonins, das auch Glückshormon genannt wird, weil es im Gehirn ein Gefühl der Geborgenheit und Zufriedenheit auslöst.

    Serotonin beeinflusst nicht nur unsere Emotionen sondern auch Faktoren wie Appetit, Körpertemperatur, Schlaf-Wach-Rhytmus oder die Schmerzbewertung. Bei einem Reizdarm kann das Nervensystem nicht mehr regulieren, wieviel Serotonin gebraucht wird, um die normale Darmbewegung für uns schmerzlos geschehen zu lassen. Dementsprechend empfinden wir nach dem Essen Schmerzen.

    Stress als Auslöser und Verstärker

    Egal ob privater Ärger, Hektik auf der Arbeit, Kummer, Angst o.a…. wenn man gestresst ist, hat das auch Auswirkungen auf den Magen-Darm-Trakt. Darmbewegung und Magensaftproduktion werden gesteigert und die Immunabwehrfunktion des Darms gerät aus dem Gleichgewicht. Allerdings reagiert nicht jeder Mensch unter Stress gleich mit einem Reizdarmsyndrom. Grundsätzlich kann es aber immer helfen etwas zu finden, das Stress im Alltag für dich persönlich ausgleicht. Sport, kochen, gemeinsame Aktivitäten mit Freunden oder eben auch Netflix & Chill… das ist Typsache.

    3. Diagnose des Reizdarmsyndroms

    Da die Entstehungsmöglichkeiten für einen Reizdarm so vielfältig sind, ist die einzige Möglichkeit eine Diagnose zu stellen: Alle anderen Erkrankungen ausschließen. Der richtige Ansprechpartner dafür ist ein Gastroenterologe. Das ist ein Facharzt für innere Medizin, der auf Erkrankungen des Verdauungsapparates spezialisiert ist. Bevor du ihn aufsuchst, kannst du dir diese 4 Fragen stellen:

    • Wo genau hast du Schmerzen und in welchen Situationen treten diese auf?
    • Hast du Durchfall oder Verstopfung?
    • Ist dir ein Zusammenhang der Schmerzen mit bestimmten Nahrungsmitteln aufgefallen?
    • Befindest du dich derzeit in stressigen Lebensumständen?

    Eine gute Möglichkeit den Zusammenhang zwischen Symptomen und Gründen aufzudecken ist ein Ernährungsprotokoll/ Beschwerdetagebuch. Du schreibst auf, was du gegessen hast und wann Schmerzen, Durchfall oder Verstopfung aufgetreten sind. Das ist auch eine gute Hilfe für den Arzt.

    Achtung: Ist dir Blut im Stuhl aufgefallen, hast du Fieber und ungewollt Gewicht verloren? Dies alles wäre untypisch für den Reizdarm und sollte AUF JEDEN FALL von einem Arzt abgeklärt werden.

    Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

    Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (kurz CED) haben ähnliche Symptome wie ein Reizdarm. Morbus Crohn zeigt sich meist mit krampfartigen Bauchschmerzen und Durchfällen. Ein typisches Anzeichen für Colitis ulcerosa ist Durchfall mit Blut- und Schleimbeimengungen. Dazu kommen Schmerzen – oft im linken Oberbauch. Beide haben gemein, dass die Anzeichen in Schüben auftreten und Betroffene auch eine zeitlang symptomfrei sein können. Die Krankheit lässt sich allerdings nie komplett heilen.

    4. Behandlung des Reizdarmsyndroms

    Die Behandlung eines Reizdarms ist sehr individuell, da es immer darauf ankommt woher die Beschwerden kommen, wie sich der Körper verhält und auch wie jemand mental mit der Situation umgeht. Man könnte quasi sagen: so wie jeder Mensch anders ist, ist auch jeder Darm anders.

    Allerdings gibt es einige Tricks, die man zuhause für sich ausprobieren kann

    • Bei Blähungen gibt es eine Klassikerkombination: Fenchel-Anis-Kümmel. Viele kennen es noch aus ihrer Kindheit. Auch Fencheltee aus zerstoßenem Fenchel hilft Blähungen und Krämpfe zu lindern. Zusätzliche Linderung kann eine Salbe mit Kümmelöl schaffen, mit der man den Bauch vorsichtig im Uhrzeigersinn massiert. Aber Achtung: Kümmelöl pur reizt die Haut. Es sollte daher immer in eine Salbe/Emulsion/etc. eingearbeitet sein. Am besten lässt man sich dazu in der Apotheke beraten.
    • Probiotika: Probiotika sind lebensfähige Darmbakterien, die als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden können. Sie unterstützen das Darmmikrobiom bei einem natürlichen Gleichgewicht und können Beschwerden lindern.
    • Stress: Nach jeder Anspannungsphase braucht es Regeneration. Die kommt in unserem Alltag oft zu kurz. Da der Darm extrem stresssensibel ist, lohnt es sich, wenn du Aktivitäten ausfindig machst, bei denen du regelmäßig deine Akkus  aufladen kannst.
    • Ernährung: Bei einem Reizdarmbetroffenen reagiert der Darm sehr sensibel. Daher muss man sich bei einer Therapie durch Ernährung vorsichtig herantasten. Bei Verstopfung hilft eine ballaststoffreichere Ernährung. Ballaststoffe sind unverdauliche Nahrungsbestandteile, die durch aufquellen das Stuhlvolumen erhöhen und so zu mehr Darmbewegung führen. Man findet sie z.B. in Nüssen, Samen und allen voran Gemüse. Bei Durchfall sind Flohsamenschalen eine gute Idee, da sie das überschüssige Wasser binden.

    5. Ernährung beim Reizdarmsyndrom

    Auch bei der Diagnose Reizdarm gibt es einige Maßnahmen, die dir helfen können, die Symptome eines Reizdarms zu vermindern. Allerdings gilt: Das sind nur allgemeine Tipps. Jeder muss selbst herausfinden, was für ihn am Besten funktioniert.

    • Langsam essen.
    • Nicht unnötig viel Luft runterschlucken.
    • Viele kleine Portionen sind besser als wenige große.
    • Ausreichend trinken. Gut ist z.B. Wasser ohne Kohlensäure.
    • Fette Speisen, Hülsenfrüchte, starke Gewürze, manchmal auch Kaffee, Alkohol, Nikotin oder Milchprodukte können Beschwerden verursachen.
    • Auch auf Weißmehlprodukte, Fertigprodukte und verschiedene Zuckeraustauschstoffe reagieren manche Menschen sensibel.
    • Darauf achten, wie die Speisen zusammengesetzt sind und zu welcher Tageszeit sie gegessen werden: dadurch kann man herausfinden, was gut vertragen wird.
    • Routine: Regelmäßig und zu festen Zeiten essen.
    • Abends nicht zu viel essen.
    • Sich für die Mahlzeiten Zeit nehmen und eine ruhige Atmosphäre erschaffen.

    Wenn du dich nach all diesen Infos fragst: “Was kann ich überhaupt noch essen und wie kann ich es kombinieren, um nicht 365 Tage im Jahr dasselbe auf dem Teller zu haben?” – Unser Team von Ernährungsexperten berät dich gerne und erstellt dir einen individuellen und abwechslungsreichen Ernährungsplan. Genau abgestimmt auf alles, was dir und deinem Körper gut tut.

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    Der Artikel wurde geschrieben von

    Juliana Gutzmann

    Juliana ist die Autorin dieses Artikels. Sie hat nach ihrem Pharmaziestudium in Münster und Regensburg an der AMD München Journalismus und Medienkommunikation studiert und ihren Bachelor in Fashion Management & Communication an der ECBM erfolgreich abgeschlossen. Nachdem sie ein Jahr beim SHAPE Magazin gearbeitet hat, wurde sie Teil des Foodpunk-Teams, wo sie von September 2020 bis Dezember 2023 die Science-Redaktion geleitet hat.

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