Michael Carl:
Heute wollen wir mal ganz praktisch werden und über die Zukunft von Ernährung reden. Damit ist jetzt nicht gemeint der Kantinenplan von nächster Woche. Das ist technisch gesehen auch Ernährung der Zukunft, aber nicht das, was wir hier im Blick haben. Die alte Geschichte, wir haben das hier schon vielfach thematisiert, es geht ja nicht um mehr vom Gleichen, sondern es geht um die Frage des Unterschieds. Wo kommen wir eigentlich hin? Wir wollen ein wenig weiterschauen. Ernährung könnte in diesem Kontext vor allem Zukunft von personalisierter Ernährung sein. Fragezeichen? Müssen wir klären. Zum gemeinsamen Nachdenken habe ich mir Marina an den Tisch geholt, an den zumindest virtuell gedeckten Tisch. Marina Lommel ist Gründerin von Foodpunk. Nicht mehr Start-up, sondern ganz ausgewachsen. Hallo Marina, wie schön, dass du da bist.
Marina Lommel:
Hallo Michael.
Michael:
Ihr gebt mir für alle, die es nicht direkt präsent haben, eine App, die mir technologiegestützt sagt, was ich essen soll. Ich habe das jetzt wahrscheinlich viel zu einfach zusammengefasst, aber du wirst es auf nötige Weise korrigieren und präzisieren. Aber bevor wir das im Detail tun… wenn also so eine App dafür sorgt, dass meine Ernährung gute Ernährung ist, was ist denn eigentlich gute Ernährung?
Marina:
Sehr spannend. Also, du hast es schon gut auf den Punkt gebracht. Die App sagt dir, technologie- und datengestützt gestützt, was du machen sollst und unser Ziel bei Foodpunk ist es, dass wir die weltweit beste und fortgeschrittenste Software für personalisierte Ernährung bauen. Sozusagen den digitalen Ernährungsberater in der Hosentasche, der noch mehr kann als der Mensch alleine in puncto Beratung. Und was die richtige Ernährung ist… es gibt grobe Richtlinien, die für viele Menschen gleichermaßen gelten.
Michael:
Nicht so viel Zucker, nicht so viel Alkohol.
Marina:
Genau, mehr Gemüse, weniger verarbeitete Produkte. Es gibt eben grobe Richtlinien, die für alle Menschen gleichermaßen gelten und wenn man die beachtet, hat man 70 bis 80 % des Weges auch schon hinter sich gebracht. Und dann gibt es aber noch individuelle Unterschiede und da kommt die personalisierte Ernährung ins Spiel. Das einfachste Beispiel ist, wenn du jetzt ein Glas Apfelsaft trinkst und ich trinke ein Glas Apfelsaft, wird unser Blutzuckeranstieg ganz unterschiedlich sein. Das ist so das einfachste Beispiel für die Wichtigkeit von personalisierter Ernährung, weil Lebensmittel, die Kohlenhydrate und Zucker enthalten, von jedem einzelnen Stoffwechsel von uns ganz unterschiedlich gehandhabt werden. Und wenn wir optimale Gesundheit erreichen wollen, dann sollten wir auf jeden Fall anfangen mit den allgemeinen Tipps zu guter Ernährung und dann noch mal ein Stück weiter schauen und gucken, was können wir für uns individuell noch besser machen und optimieren.
Michael:
Ja, du hast ganz viele Stichworte schon genannt. Wir können uns jetzt im Grunde Stück für Stück an einer Antwort abarbeiten in diesem Podcast. Ich habe technologiegestützt gesagt, du hast ergänzt “und datengestützt”. Auf welchen Daten basiert so etwas, was ihr macht oder was andere machen heutzutage normalerweise? Und welche Daten hättest du gerne in Zukunft?
Marina:
Das ist eine sehr schöne Frage und auch der Grund, warum ich dem Podcast so schnell zugesagt habe. Weil ich sehr gerne von der komplett digitalisierten Ernährungswelt träume, die heute aber so noch nicht eingetreten ist. Und wir versuchen eben diese Lücke zu schließen zwischen dem, was heute möglich ist und messbar ist, und dem, was wir uns in zehn Jahren oder in 50 Jahren wünschen. Vielleicht fangen wir so an, dass ich dir einmal beschreibe, was wir jetzt aktuell mit einfließen lassen können. Dann einmal vom, ich sag mal optimalen, komplett gläsernen Menschen, den ich mir so in zehn Jahren vorstelle. Oder vielleicht dauert es auch noch ein bisschen länger.
Michael:
Ja. Genau, Schritt für Schritt.
Marina:
Also, Stand heute ist es so, dass wir persönlich bei der personalisierten Ernährung einen Fragebogen bei unseren Online Kunden beachten, die uns Gewicht, Ziele, Allergien, Lebensmittel-Wünsche etc. angeben. Viele Menschen haben eine Unverträglichkeit, die man relativ leicht beim Arzt nachweisen lassen kann. Da beginnt zum Beispiel personalisierte Ernährung. Jeder Mensch braucht auch unterschiedliche Mengen an Makronährstoffen, zum Beispiel mehr oder weniger Kohlenhydrate. Und das hängt damit zusammen, wie aktiv eine Person auch ist. Welches Gewicht hat eine Person? Wenn jemand sehr starkes Übergewicht hat, zum Beispiel, gibt es häufig dann auch eine Insulinresistenz. Das heißt, dieser Mensch kann Zucker nicht mehr so gut verstoffwechseln und profitiert sehr stark davon, wenn man die Kohlenhydrate reduziert. Jemand, der aber eher schlank und sehr sportlich ist, wird dann eher hungriger sein, unter denselben Bedingungen. Das heißt, wenn wir online B2C Kunden beraten, machen wir per Erstanamnese einen Fragebogen. Wenn wir uns im Bereich der Erkrankungen bewegen, arbeiten wir mit Ärzten zusammen, die dann eben auch Blutwerte analysieren können. Und wir begleiten zum Beispiel eine Studie der Universität Köln. Da geht es um Nierenzysten-Patienten und die dürfen ganz spezifisch nicht zu viel Protein essen, nicht zu viel Phosphat, nicht zu viel Oxalat. Aber gleichzeitig ist in dieser Studie wichtig, dass sie die Kohlenhydrate sehr stark reduzieren und gleichzeitig sollen sie aber auch nicht abnehmen, das heißt ausreichend Energie haben. Und die hauseigenen Ernährungsberater sagen, “Ich brauche Stunden, Tage, Wochen, wenn ich mich hier hinsetzen soll und das alles ausrechnen soll für 100 Studienteilnehmer und auch noch Rezepte entwickeln soll und es soll schmecken und irgendwie praktisch sein im Alltag.” Und das haben wir eben gelöst und diese Lücke geschlossen. Das heißt, mit unserer Software kann man mit zwei Knopfdrücken exakt all das erstellen, komplett personalisiert auf diesen Menschen bezogen. Und der Mensch bekommt nicht nur eine Auswahl von Rezepten, die irgendwie diese Bedingungen erfüllen, sondern wir haben über 6000 eigens entwickelte Rezepte im System. Aber jedes einzelne Rezept wird berechnet, persönlich. Das heißt, wenn du einen Ernährungsplan von uns hast und ich einen habe, und wir haben beide dasselbe Rezept, dann wird es trotzdem unterschiedliche Lebensmittelmengen enthalten, weil wir haben einen unterschiedlichen Bedarf. Also so arbeiten wir und es sind alleine 3000 Zeilen Softwarecode dafür zuständig, dass der Ernährungsplan für jede Person perfekt angepasst wird. Unter den Bedingungen, die gegeben sind, zum Beispiel in dieser Studie, nicht zu viel Protein, nicht zu viel Phosphat, nicht zu viel Oxalat, aber auch den individuellen Dingen: Vielleicht möchtest du keine Milchprodukte essen und außerdem magst du keinen Brokkoli und noch Allergien und Aktivitätslevel, Vorerkrankungen und Gewicht und Ziel usw. Das ist jetzt der Fall. Und mit einigen Ärzten laufen dann zum Beispiel noch Unverträglichkeitspanels, die machen ganz bestimmte IgG-Unverträglichkeitstests und geben uns da die Ergebnisse und sagen okay, das Immunsystem dieses Menschen reagiert ganz besonders auf Milchprodukte und auf Gluten und auf Garnelen und das wird dann erst mal rausgenommen. Das ist Stand heute der Fall. Also du kannst ins Blut gucken, du kannst natürlich den Alltag beobachten, dann hat man sehr viele Wearables, die uns helfen können, die “Wahrheit” herauszufinden, sage ich mal. Weil wenn jemand selber einschätzen muss, wie viel er sich wirklich bewegt und wie der Sport wirklich ist, dann gibt es immer so ein Bias.
Michael:
Ganz zu Anfang, bei deiner ersten Antwort schon gesagt, ist eine Ebene von personalisierter Ernährung, insbesondere in der Zukunft, es besser zu machen, als der Einzelne es selber wüsste.
Marina:
Na klar, weil die Software kann halt viel mehr Daten in viel kürzerer Zeit viel genauer auswerten als ich mit meinem Stift und meinem Excel. Und es gibt Dinge, die kann der Mensch besser als die Software, aber es gibt auch viele Dinge, die kann ein Algorithmus viel besser als der Mensch. Und in der Zukunft sehe ich, dass wir uns sehr, sehr gut ergänzen können in den Kompetenzen und Technik und Mensch sehr gut zu etwas vereinen können, was eine noch bessere Wirkungen, noch einen besseren Output hat als nur eines von beiden.
Michael:
So, jetzt haben wir beschrieben, was heute schon geht oder aber zumindest möglich ist. Aber nochmal die Frage, an was für Daten würdest du perspektivisch eigentlich gerne rankommen?
Marina:
Also, es gibt ein paar Forschungsfelder, die aktuell noch zu sehr in den Kinderschuhen stecken, als dass man sie wirklich heranziehen kann für Handlungsempfehlungen. Und eines zum Beispiel ist die Nutrigenomik. Also es gibt ein ganzes Forschungsfeld, das versucht herauszufinden, kann ich auf der Basis von Genanalysen herausfinden, welche Lebensmittel und welche Ernährungsweisen diesem Menschen besonders weiterhelfen. Und da versucht man sogenannte SNPs in den Genen zu finden, das heißt Single Nukleotide Injections, die eine Aussage darüber geben, zum Beispiel, was ist die Abstammung des Menschen? Wo kommt dieser Mensch auf dem Globus ungefähr her? Und auch kann ich eine Korrelation ziehen zwischen diesen SNPs, die ich hier sehe und dem Wissen darüber, was Menschen brauchen, die diese Art von Genvarianz haben, um optimale Gesundheit zu erreichen. Es gibt Anbieter, die bieten jetzt schon Gen-Diäten an und ich finde es sehr fragwürdig. Ich habe mich mit vielen Wissenschaftlern unterhalten, die das ebenso sehen, weil was aktuell auf dem Markt ist, ist viel mehr Marketing als fundierte Wissenschaft. Und die Wissenschaft ist dran und möchte herausfinden, wie kann ich meine individuelle Varianz in meinem Genom für echte Handlungsanweisungen in Bezug auf Ernährung verwenden. Es ist aber noch relativ grau. Also man kann zum Beispiel schon bei einem bestimmten Lipoprotein(a) ablesen, hat ein Mensch die Tendenz dazu, eher einen hohen Cholesterinspiegel zu haben und ist er empfindlicher auf gesättigte Fettsäuren? So vereinzelte Erkenntnisse hat man schon, aber nicht genügend, um komplett sagen zu können, okay, anhand deiner Gene kann ich jetzt sehen du darfst kein Brokkoli essen und außerdem solltest du dich vegan ernähren und außerdem brauchst du viele Kohlenhydrate und nur ganz wenig Fett. Das kann ich nicht in den Genen lesen, aber es gibt leider schon Menschen, die das verkaufen. Finde ich fragwürdig. Wir sollten vielleicht noch fünf oder zehn Jahre warten, bis die Wissenschaft wirklich sagen kann: Ich habe jetzt eine gute Erkenntnis, und dann damit arbeiten. Weil was die Forscher in diesem Feld der Nutrigenomik sagen, ist, wenn wir es zu früh vermarkten, wird es uns um die Ohren fliegen, weil die Glaubhaftigkeit leidet. Und was Ähnliches ist auch im Bereich der Mikrobiom-Forschung der Fall. Da gibt es auch schon Anbieter, die sagen ich kann eine Mikrobiom-Diät machen, da sind wir aber noch zu früh. In Zukunft finde ich das aber super spannend. Natürlich möchte ich gerne wissen, welche Erkenntnisse ich aus meinen Variablen in meinen Genen ableiten kann auf meine Ernährung. Und natürlich möchte ich wissen, wie kann mein Darmmikrobiom einen Einfluss darauf haben, was ich essen sollte? Es ist zum Beispiel bekannt, das weiß man heute schon, dass Menschen, die unter Übergewicht leiden, eine andere Zusammensetzung des Darmmikrobioms haben. Und man kann das sogar, also in Maus-Studien konnte man das, glaube ich, sogar verimpfen, also einer anderen Maus dieses schlechte Darmmikrobiom übertragen. Das nennt sich dann Kottransplantation, um dieses andere Darmmikrobiom herzustellen. Da weiß man, das hat zum Beispiel Einfluss darauf, wie die Neigung ist, Gewicht einzulagern.
Michael:
So, jetzt hast du zum Thema Gene eben schon ungefähr einen zeitlichen Horizont gesagt. Wir wissen natürlich immer, es handelt sich hier nicht um Garantien, aber nichtsdestotrotz ist ja interessant, sich eine Perspektive zu geben und zu sagen, erwarten wir jetzt in 100 Jahren hier irgendwelchen Fortschritt, aber in Bezug auf die Gene, hast du gesagt, in fünf bis zehn Jahren müssten wir eigentlich nennenswert mehr können als wir heute können. Gilt das für die Mikrobiome auch?
Marina:
Ja, aber ich glaube nicht, dass wir in unter fünf Jahren Erkenntnisse haben werden, die Mikrobiom-Diäten oder Gen-Diäten zu einer seriösen Sache machen. Ich glaube, fünf Jahre sollten wir mindestens noch abwarten.
Michael:
Gut, also noch sage ich immer ungefähr 20-30. Das ist jetzt keine zehn Jahre mehr hin, aber sozusagen als Sinnbild für am Anfang des kommenden Jahrzehnts. So, jetzt haben wir die Daten Seite.
Marina:
Das ist noch lange nicht alles. Ich muss dir noch ein paar Daten geben.
Michael:
Okay, gut. Dann also bitte. Was noch?
Marina:
Was jetzt zum Beispiel schon aktuell auf dem Markt ist, sind natürlich viele Schlaftracker. Einer ist besonders bekannt, das ist dieser Oura-Ring, der nachts die Tiefschlafphase, die Schlafzyklen etc. misst. Da gibt es auch wieder einen Zusammenhang zur Ernährung, denn man weiß, wenn die Tiefschlafphase zu kurz ist, hat der Mensch einen höheren Ghrelin-Spiegel. Ghrelin ist ein Hunger-Hormon. Das führt dazu, dass man am nächsten Tag durch zu wenig Schlaf, zu wenig Tiefschlaf, mehr Hunger hat, mehr Heißhunger hat, eher Lust auf Süßigkeiten. Und das ist etwas, was wir schon in ein bis zwei Jahren in der App quasi als Datenbasis nutzen können und Echtzeit-Empfehlungen machen können, die zum Beispiel lauten: “Hey, wir haben gesehen, du hattest eine zu geringe Tiefschlafphase, heute bist du besonders empfindlich für Heißhunger. Diese und jene Tipps werden dich davor schützen” und dem Menschen damit eine wirklich Echtzeit-Handlungsempfehlung geben können. Genauso wie “Wir haben gesehen, du hast dich in den letzten 24 Stunden stärker bewegt”, gemessen an einem Aktivitätstracker. “Du solltest deine Energieaufnahme anpassen mit konkret diesen Tipps, damit du genügend Energie für deinen Alltag hast und keinen Heißhunger hast”. Ich finde eben auch sowas wie Schlafdaten höchst spannend in Bezug auf Ernährung. Also dass Bewegungsdaten relevant sind und das was mit dem Kalorien-Niveau zu tun hat, ist den meisten bekannt, aber Schlaf ist zum Beispiel super spannend. Für Frauen sind Zyklus-Tracker auf dem Markt und das ist auch was, was man in relativ kurzer Zeit als Datenbasis einbauen kann, für Ernährungsempfehlungen. Denn über den Zyklus hinweg, über diese vier Wochen ändern sich bei uns Frauen die Mengen an verschiedenen Hormonen im Blut, die Östrogene und Progesteron. Und in der zweiten Zyklushälfte führt die Veränderung dazu, dass wir dann Zucker schlechter verstoffwechseln können, dass die Insulinsensitivität schlechter wird und wir aus diesem Grund eher Heißhunger bekommen und gleichzeitig lässt die sogenannte glatte Muskulatur im Körper nach. Und das führt bei Frauen oft dazu, dass sie einen Blähbauch haben und das hat quasi so viel Einfluss, es hat Einfluss auf das Gewicht auch in Bezug auf Wassereinlagerungen, Einfluss auf den Hunger, Einfluss auf das Körpergefühl, wenn man plötzlich einen Blähbauch hat. Und früher dachte ich auch, das sind halt irgendwelche Symptome in Bezug auf PMS, aber nein, es gibt quasi wirklich hormonelle Gründe und Ursachen. Es gibt jetzt zum Beispiel Zyklus-Tracker, die über Temperatur funktionieren, wo man dann eben auch absehen kann, in welchem Zyklusteil befindest du dich, konkrete Empfehlungen geben kann. Es wird aber in Zukunft sicherlich auch invasive Tools geben, die zum Beispiel die Hormonspiegel in Echtzeit messen können. So etwas ist möglich, ja aktuell schon, das kennt man ja schon mit dem Blutzuckerspiegel. Früher mussten Diabetiker sich regelmäßig in den Fingern pieken.
Michael:
Mehrfach am Tag im Zweifel, ja.
Marina:
Was haben wir heute? Wir haben die kontinuierlichen Glukose-Monitorings, die gibt es ja jetzt schon und wir sind viel mit den Firmen im Gespräch, die genau das machen. Und das wird ja nicht bei Glukose aufhören. Also man kann zum Beispiel in Zukunft auch Ketonkörperspiegel messen oder oder oder… verschiedenste Blutwerte, die uns interessieren, mit einer ganz feinen Nadel, mit so einer Filament-Nadel und wirklich in Echtzeit auf dem Smartphone anzeigen lassen, hey, wie hoch ist denn gerade mein Progesteronspiegel? So etwas finde ich höchst spannend, weil Hormone so viel in unserem Leben steuern. Da hört es aber immer noch nicht auf, was die Datenbasis angeht. Zum Beispiel, es gibt mittlerweile ja wahnsinnig viele Voice-Tracker. Amazon Alexa oder wie heißen die anderen alle? Ich will jetzt keine Werbung machen.
Michael:
Siri, OK Google… wie sie alle da sind.
Marina:
Und dort wird geforscht. Die hören natürlich nicht nur unseren Worten zu, sondern auch unsere Stimme. Und anhand der Veränderung der Stimme kann man zum Beispiel Stress erkennen oder einen beginnenden Infekt. Ich glaube, dass wir da eher noch zehn Jahre brauchen, bis wir eine sinnvolle Erkenntnis haben, um zum Beispiel festzustellen, okay, diese Person wird vielleicht bald krank, vielleicht sollte sie besonders auf ihre Vitamin C Zufuhr achten oder diese Person hat laut ihrer Stimmanalyse gerade sehr viel Stress, da hilft Magnesium. Stress kann ich zum Beispiel bei der Stimmanalyse feststellen, aber auch wieder durch Cortisolmessung. Das ist ein Hormon und da könnte es wieder so ein Pflaster mit einer kleinen Kanüle geben, was kontinuierliche Cortisol-Hormon-Messungen macht und damit mein Stresslevel checkt. Also meine Vision ist, dass wir all diese Datenpunkte vereinen können zum Gesamtbild des Menschen und wirklich konkrete, sehr spannende Handlungsempfehlungen ableiten können. Nichtsdestotrotz müssen wir uns dessen bewusst sein, dass 80 % der Ernährung durch einfache, allgemeingültige, gesunde Aspekte möglich sind und all diese Datenpunkte nur dafür da sind, dass wir die letzten 20 % noch irgendwie aus uns rausholen können.
Michael:
Ja, oder wir vielleicht sogar mehr als 100 % kriegen können, was ja auch eine Überlegung wäre, warum wir da eigentlich immer stoppen müssen.
Marina:
Absolut. Genau.
Michael:
Ich nehme an, dass es den einen oder die andere gibt, die uns jetzt zuhören, die sagen, okay, gut ja, da hat man mich verstanden, ist aber vielleicht doch ein bisschen dicke. Da gehen wir aber gleich nochmal drauf. Ich würde gerne noch einen anderen Strang verfolgen und sagen: Jetzt haben wir also alles Mögliche, was wir messen können. Super! Und wir haben ganz viel, was wir daraus lernen können. Und heute wissen wir schon viel und in Zukunft können wir noch mehr lernen und die Dinge hier dann auch über unterschiedliche Wege und Datenpunkte und Datenquellen und Qualitäten abgleichen und plausibler machen und denken uns das Ganze ja sowieso als ein lernendes System. So, aber warum kommt jetzt am Schluss immer noch nur ein Kochrezept dabei raus? Also müsste nicht eigentlich hintendran auch die Maschine sein, die mir dann im Sinne von meinem personalisierten 3D-Drucker, ob der jetzt bei mir steht oder im Supermarkt an der Ecke, ist ja völlig egal, aber müsste nicht auch der industrielle Prozess gedacht werden, wie auf dieser Basis dann für mich die richtigen Nahrungsmittel und zwar für mich heute die richtigen Nahrungsmittel entstehen.
Marina:
Ja zu 100%. Es gibt zum Beispiel Zukunftsforscher in den Niederlanden, die, ich glaube, die erste Karotte in der Blockchain oder so gebaut haben. Die Karotte, deren Informationen von der Anpflanzung bis auf den Teller komplett in der Blockchain festgehalten worden ist. Und da ging es darum, wie viele Sonnenstunden hat dieses Gemüse bekommen, wann wurde es ausgesät, wie viel Regen war da, welche Nährstoffe enthält genau diese spezifische Karotte? Und ich habe dann sowas wie eine Daten-optimierte Karotte am Ende. Könnte natürlich für viele Lebensmittel gelten. Und wenn man zum Beispiel in dem Bereich Functional Food denkt, könnte man auch sagen, gut, der Brokkoli, wie wir ihn heute kennen, der hat weniger Nährstoffe als früher, weil unser Boden ist einfach nährstoffärmer und deswegen kriegt die Person jetzt ihr Vitamin-Spektrum, was sie braucht noch als Topping auf ihren Joghurt jeden Morgen im Müsli, zum Beispiel. Es gab zum Beispiel Unternehmen, von denen weiß ich, dass es sie gegeben hat und dass es sie nicht mehr gibt, die aber jeden Morgen quasi wie in so einem Sodastream Wasserspender den individuellen Nährstoff-Mix zusammengebraut haben. Und da wird sicherlich auch weiter daran geforscht, wenn es zum Beispiel um individuelle Supplements geht, die ich ableiten kann oder wirklich Functional Food, wo ich normale Lebensmittel verbinde mit der Zugabe von Nährstoffen. Und du hast kurz das Thema 3D-Drucker angesprochen. Das ist auch ein ganz relevanter Punkt, weil die Tendenz geht ja zu weniger Fleischkonsum und zurzeit sind sehr viele Alternativen auf dem Markt, die ich sehr fragwürdig finde, weil sie der Gesundheit nicht so zuträglich sind, weil dann zum Beispiel Fleischersatz gebaut wird aus ganz viel Gluten und 1000 Zusatzstoffen und schmeckt zwar irgendwie gut, aber es enthält viel zu viele Omega-6-Fettsäuren und fördert Entzündungsreaktion und tut der Gesundheit nicht gut. Ich glaube, was da ein sehr, sehr wichtiges Feld sein wird, ist tatsächlich das Labor-Fleisch in der Zukunft, wo ich es dann schaffe, ohne die Haltung von Tieren eine Proteinquelle zu kreieren, die nicht nur irgendwie schmeckt wie Fleisch, wie so ein Ersatz-Fleisch, sondern tatsächlich Zellen hat wie ein Fleisch und den passenden Nährstoff-Mix, sage ich mal. Und in diesen veganen Ersatzprodukten wird Stand heute sehr, sehr viel mit, zum Beispiel Omega-6-reichen Saaten-Ölen gearbeitet, die für die Gesundheit schlecht sind. Wenn man sagt, man geht das Thema Labor-Fleisch an, mit der Zucht von echten Zellen, könnte man das auch weiterdenken und könnte nicht nur sagen wie schaffe ich das denn, ein Rindersteak originalgetreu nachzubauen, sondern wie schaffe ich es vielleicht, das sogar noch besser zu machen.
Michael:
Da sind wir wieder bei mehr als 100 %
Marina:
Dass das Rindersteak aus der Zellkultur nicht nur die richtige marmoriert und die Fettzusammensetzung hat und nicht aus Sonnenblumenöl besteht, sondern aus echtem Fett, aber dann vielleicht mir plötzlich Omega-3-Fettsäuren liefert, die anti-entzündlich sind, die bisher nur im Lachs vorgekommen sind und nicht im Rindersteak und ich plötzlich jetzt ein ganz neues Nahrungsmittel geschaffen habe, was wirklich so ein Crossover ist aus echten Zellen, aber die dann plötzlich auch noch Omega-3 produzieren und sowas ist ja in der reinen Theorie möglich.
Michael:
In der reinen Theorie fraglos möglich. Findest du das eine attraktive Vorstellung?
Marina:
Ich bin da total offen dafür. Also ich habe selber in der Forschung für Parkinson gearbeitet und wir haben auch in der Zellkultur gearbeitet und zum Beispiel Maus Fibroblasten, Bindegewebszellen, so verändert, dass sie einen Transporter exprimiert haben an der Zellmembran, den auch das menschliche Gehirn hat an den Nervenzellen. Und dadurch konnte man eben Parkinson-Medikamente testen. An einer “Alibi-menschlichen” Gehirnzelle, ohne dass man echte menschliche Gehirnzellen in dieser Petrischale hatte, weil die sind nicht stabil gewesen in diesem Medium. Ich finde sowas schon höchst spannend und ich finde die Idee, ich finde den Gedanken sehr spannend, was der Mensch aus sich und seinem Leben machen kann, wenn er optimal mit Nährstoffen versorgt ist. Wenn uns die Wissenschaft dabei helfen kann, so etwas zu tun, zum Beispiel weniger Tierleid, aber gleichzeitig optimale Proteinversorgung und super Aminosäure-Spektrum und optimale Fettsäure-Versorgung zu erreichen, dann finde ich das eine sehr, sehr attraktive Vorstellung. Es muss uns aber gelingen, das auch gut zu machen, weil vielleicht fällt uns nämlich in zehn Jahren auf, dass in diesen supertollen Petrischalen Fleisch doch noch ein Nährstoff fehlt, der das eigentlich zu einem gesunden Lebensmittel macht. Weil wir irgendwas übersehen haben bei diesen komplexen Dingen, die echte Lebensmittel ja sind.
Michael:
Das finde ich einen interessanten Hinweis, das gilt wahrscheinlich für alles, was wir miteinander besprochen haben, wir reden tatsächlich nicht über triviale Vorgänge. Wir neigen so dazu, Ernährung für trivial zu halten, weil sich eine Scheibe Brot aus dem Kasten zu nehmen und Butter drauf zu schmieren und ein Stück Käse drauf zu legen, das ist jetzt nicht so komplex, aber wir reden eigentlich physiologisch auf der Zellebene, auf der Produzentenebene über Dinge, die wirklich höchste Komplexitätsgrade haben, oder?
Marina:
Ja, total. Also das ist immer so spannend, wenn ich Leuten erzählt habe, ich habe Ernährungswissenschaften studiert, da kommt so: Ach Mensch, du gut, dass wir reden, weil ich habe gehört, Kokosöl ist doch jetzt ganz schlecht, oder? Irgendwie so eine Frage. Und man denkt sich so okay, wenn ich die menschliche Biochemie auf eine Wand aufzeichnen will, dann reicht für die ganzen Stoffwechselvorgänge nicht der Platz hinter mir auf der Wand, weil das alles so komplex ist. Ich finde es super, super spannend, die Wissenschaft. Wie zum Beispiel die Mitochondrien funktionieren, die Kraftwerke unserer Zellen, welche Nährstoffe die wiederum brauchen, um gut zu funktionieren. Wie wir durch Ernährung auch Alterungsprozesse verlangsamen können, wie umgekehrt eine schlechte Ernährung Alterungsprozesse auf Zellebene verschnellern kann. Wie wir aus dieser Erkenntnis vielleicht etwas ableiten können, was uns hilft, nicht nur die 100 % zu erreichen, sondern vielleicht irgendwann 150 Jahre alt zu werden. Ich persönlich finde das höchst spannend. Ich habe aber auch totales Verständnis dafür, wenn jemand sagt: Geh mir nicht auf die Nerven, ich möchte jetzt einfach mein Essen essen und nicht darüber nachdenken, was es in meinem Körper macht.
Michael:
Genau da wollte ich gerade nochmal ansetzen. Wir haben jetzt verschiedenste Ebenen, so Stück für Stück uns immer auf den Teller gelegt. Die umfassende Datenerhebung auch von Daten, die weit mehr sind als nur das, wie ich mich gerade fühle. Also das gehört dann wahrscheinlich auch dazu, auf einer Skala zu sagen, fühlst du dich fit oder nicht wach oder nicht oder so. Empfinden ist ja wichtig, aber weit darüber hinaus, Dinge, die zu beschreiben sind, auf das Muster erkannt werden, die mir persönlich gar nicht so präsent sind. Über die Zubereitung des Essens, über die Herstellung dieses Essens. Also wenn wir vorhin schon ein paar Leute mutmaßlich verloren haben, die gesagt haben, also das ist vielleicht dann doch nicht ganz meine Baustelle, dann dürfte der Kreis eher gewachsen sein in den letzten zehn Minuten. Annahme. Gleichzeitig haben wir andere Leute, die sagen: Endlich, Hurra, ich kann so essen, dass es mir gut geht und ich lebe auch noch länger und habe auch wahrscheinlich, vielleicht manche Krankheiten trotzdem, aber andere sind nicht mehr so nervig. Sind wir überhaupt bereit für diesen Schritt oder hemmt uns am Schluss so eine romantische Vorstellung von, na am Schluss, so wie Oma gekocht wird, ist doch das Allerbeste und das machen wir jetzt einfach.
Marina:
Ja, es ist genau unser Job, dass wir diese Lücke schließen, weil unser Team besteht zum einen aus super Fans von Ernährungswissenschaft und Ernährungswissenschaftlerinnen und Ernährungswissenschaftlern und dann den Software Developern, die wahnsinnig gerne nerdy und techy sind. Aber wir haben eine unfassbar große Community von mittlerweile über 100.000 Menschen, die einfach gerne essen und kochen. Und unser Job ist es jetzt, diese ganze wissenschaftliche Komplexität in einen super leichten, leckeren Ernährungsplan zu verwandeln. Wo man Lust hat zu kochen, wo man Spaß hat an Ernährung, wo es schmeckt, wo es einfach, wo es alltagstauglich ist. Unser Ziel ist es immer, dass unsere Kunden, die diesen Ernährungsplan kochen, denken Mensch, ist ja lecker! Mir geht es plötzlich so gut, ich kann viel besser schlafen, meine Haut wird besser, ich kann viel leichter abnehmen. Aber sich selber nicht damit befassen müssen, dass jetzt 3000 Zeilen Softwarecode im Hintergrund laufen. Das ist eigentlich unser Ziel. Das ist halt für den Kunden super nett und anwendbar ist. Das Ding ist aber zum Beispiel das Thema Abnehmen, wenn ich gewisse Dinge richtig mache und personalisiert mache, dann fällt einem das viel leichter und das ist unser Job, dann quasi im Hintergrund das so anzupassen, dass der Kunde die besten Ergebnisse hat. Und für den Kunden sind es leckere Rezepte, wo er Lust hat, sie nachzukochen. Handlungsempfehlungen, die ihn weiterbringen, ohne dass er sich Gedanken machen muss, was hat das mit seinen Mitochondrien zu tun, welche Kohlenhydratmenge muss er jetzt jeden Tag mitrechnen und aufschreiben und wie viele Zeilen Softwarecode laufen da? Da soll er eigentlich nichts mitbekommen davon, weil wir wollen ihm genau diese Komplexität abnehmen.
Michael:
Jetzt bereitet ihr sozusagen den Tisch im übertragenen Sinne und ich muss es selber tun, weil ich gewillt bin, dem zu folgen, aufgrund von Einsicht, Vernunft, positiven Erfahrungen, hoffentlich. In anderen Bereichen des Lebens ist das ein ziemlich fehleranfälliger Weg. Also, wir bauen die tollsten Technologien in unseren Smartphones und am Schluss nutzen die Leute das dafür, dass sie Insta betreiben, was einen klitzekleinen Teil davon ausfüllt. Wir wissen ganz viele Dinge, wie man sie richtig macht und am Schluss machen wir sie anders. Also, die Vernunft getragene Entscheidung ist doch nicht die zuverlässigste Basis, die man sich vorstellen kann.
Marina:
Nein, es ist eine sehr Stammhirn-gesteuerte Entscheidung, die am Ende dazu führt, dass wir Erfolg haben.
Michael:
Sehr basic, im Hirn gesprochen.
Marina:
Ja, total. Also, wir befassen uns viel mit Verhaltenspsychologie, wir Wissenschaftler auf unserem hohen Ross sagen dir vielleicht, was ist die perfekte optimale Ernährung für dich, das ist aber maximal 50 % der Gleichung. Die anderen 50 % sind, wie kann ich das so verpacken, dass die Leute Lust haben, es umzusetzen. Das heißt, wir arbeiten viel mit Motivation, wir arbeiten viel mit gemeinsamer Community, viel mit Verhaltensänderungen. Weil nur, weil ich den perfekten Ernährungsplan übergebe und sage, hier ist er, macht das noch keiner. Und wir lernen, oder wir haben über die letzten acht Jahre viel gelernt, was die Hürden sind für unseren Kunden, wie wir Stück für Stück den Weg gehen können. Und oft ist es dann eben auch der Schritt zu sagen: Nein, die komplette Perfektion auf optimierter Ernährungsbasis macht für diese Person gar keinen Sinn, weil wir müssen uns erst mal mit den Basics befassen. Wie schaffen wir es, dass wir Stück für Stück Zucker reduzieren. Dann aber auch, um das Ganze einfacher umzusetzen, sind Kooperationen mit Kantinen zum Beispiel geplant und unsere App wird bald von der Krankenkasse auch übernommen werden können, als Präventivleistung und damit im Zusammenhang auch im betrieblichen Gesundheitsmanagement quasi einsetzbar sein. Das heißt, man muss den Menschen ja auch da erwischen, wo sein Alltag stattfindet. Und viele Menschen gehen Tag für Tag in die Kantine und da hilft es uns nicht nur den optimalen Ernährungsplan zu schreiben, sondern wir arbeiten dann eben auch mit den Stellen zusammen, wo die Leute essen gehen. Wir sagen, gut, wir machen ein Kantinen-Konzept, um verbesserte Ernährung in den Alltag der Menschen zu bringen. Und am Abend essen sie dann zum Beispiel, wenn sie nicht in der Arbeit sind, das Foodpunk Gericht aus der App und die App weiß aber was gab es heute Mittag in der Kantine. Oder wir haben Kooperationspartner, die Fertiggerichte passend zu unserem Konzept versendbar entwickeln, also, dass man es den Menschen Stück für Stück leichter macht. Und dann gibt es aber auch im Hinblick auf die Zubereitung die futuristische Version. Wir hatten viel Kontakt zu Küchengeräteherstellern, die im Bereich IoT aktiv sind, also das Internet of Things und deren Vision, gemeinsam mit unserer Vision war, dass die Küche das meiste selbst übernimmt. Denn es gibt ja Kameras, die den Kühlschrank analysieren. Das heißt, ich weiß, was habe ich im Vorrat. Also wenn ich jetzt eine Ernährungssoftware bin, dann gucke ich erst mal den Bestand im Kühlschrank an, was ist eigentlich da im Vorrat? Ich habe alle Informationen darüber, was die einzelnen Familienmitglieder gerne essen, was diese Woche an Terminen auf dem Plan steht. Die Tochter will vielleicht zum Fußballtraining gehen, einmal die Woche wird außer Haus gegessen. Das heißt, ich habe all diese Informationen und ich als Ernährungssoftware kann jetzt ganz genau planen, was brauchen die, kann das beim digitalen Supermarkt in Auftrag geben, die Drohne liefert mir das vor die Tür und mein Backofen weiß schon, dass jetzt gleich gekocht wird und heizt sich selber schon mal ein. Also es gibt ja durchaus Menschen im Bereich, zum Beispiel dieser IoT-Küchengeräte, die genau an sowas arbeiten und auf der anderen Seite Menschen im Bereich der Logistik, die daran arbeiten, wie sieht ein Einkauf und eine Lieferkette in fünf oder zehn Jahren aus? Und es wird nicht mehr der Fall sein, dass wir die großen Supermärkte haben und in der Stadt unseren Wocheneinkauf machen und das nach Hause schleppen, sondern ein erster Schritt ist zum Beispiel, da auch die Ladenfläche in den Städten teurer werden, es wird viel kleinere Supermärkte geben und ich werde eventuell mit meiner App einfach scannen, was ich einkaufen will und während ich meine Kleinigkeiten im Supermarkt einkaufe, wird im Hintergrund schon vielleicht der schwere Getränkekasten nach Hause geliefert, der gar nicht in diesem kleinen Supermarkt in der Stadt lagert, sondern irgendwo außerhalb auf einer günstigeren Lagerfläche. Es gibt ja so Pilot-Supermärkte von Amazon schon in China und in den USA, soweit ich weiß, wo sich auch die Logistik komplett verändert. Und wenn man sehr futuristisch denkt, wirst du eine Ernährungsanalyse haben und eine digitalisierte Küche und eine digitalisierte Logistik, die auch all das, was wir jetzt als Ernährungsalltag empfinden, komplett verändern wird.
Michael:
Ich folge dir in ganz, ganz vielen Punkten und ich halte das für ein total valides Bild. Und ich halte das auch für ein technologisch gar nicht abwegiges Bild. Also ob das jetzt in dieser vollen Ausbaustufe fünf oder zehn Jahre braucht, vielleicht 15, aber meine Güte, wir beide werden es erleben. Also das ist jetzt in dem Sinne nicht Science Fiction. Ich hänge aber immer noch an dem Punkt, ob wir wirklich sagen können, das ist ein sinnvolles Bild der Zukunft von Ernährung, weil das Gegenbild könnte ja sein in der Küche macht irgendwie die die automatisierte Kitchenaid mit dem Ofen und dem Kühlschrank und der fliegenden Drohne von Rewe oder Edeka, die haben Spaß zusammen und ich sitz derweil bei mir im Schlafzimmer und essen eine Tafel Schokolade. Also ist das ein Bild, was wir unter attraktiv, technisch möglich, betriebswirtschaftlich sinnvoll, prüfbar etc. abheften? Oder ist das eins, wo wir sagen: Ja, wir glauben, dass wir tatsächlich so sein werden.
Marina:
Ich glaube, dass sich die Gesellschaft daran spalten wird und dass die einen sagen, hey, super spannend und sich Stück für Stück der Digitalisierung hingeben, so wie wir jetzt auch unsere Apple Watches tragen und unsere Oura-Rine tragen nachts und unseren Flink oder Gorillas Lieferdienst vor die Haustür nutzen. Ich glaube aber, dass ein anderer Teil der Gesellschaft genau darauf gar keinen Bock haben wird und eher zurück in alte Traditionen gehen wird, weil sie nämlich kein Interesse daran haben, an dieser stärkeren Digitalisierung, an der Entfremdung auch des Menschen und zu seiner Umwelt und der Entfernung von uns und dem, was wir so tagtäglich machen. Was ja irgendwie passiert, wenn überall digitale Geräte zwischengeschaltet sind. Ich glaube, dass es da eine große Strömung geben wird, die mehr auf Slow Food geht, mehr auf achtsames Ernähren und dieses Tempo und diese Kontrolle, die wir den digitalen Dingen geben, gar nicht haben will. Ich glaube, dass es da zwei Strömungen geben wird. Menschen, die das richtig cool finden und Spaß daran haben. Und die Menschen, die eher so eine digitale Ermüdung haben werden und sich davon abkehren.
Michael:
Ja. Nun sind wir ja gewohnt daran, Teile unserer heutigen Ernährung irgendwie genauso romantisch aufzuladen. Wobei sie das ja in 99 % der Fälle überhaupt gar nicht ist, sondern wir über industrielle Produkte reden, die halt nur irgendwie nach Natur aussehen. Zwei Fragen schließen sich direkt an: Wovon ist abhängig, ob ich mich in der einen oder in der anderen Gruppe befinden werde? Die erste Frage und zweite, müssten wir nicht sagen, ja, du kannst Slow Food machen, du kannst beim Bio-Metzger um die Ecke die Schnitzel vom Schwein holen, das aus höherer Einsicht selber in sein Ableben und seine Zerlegung eingewilligt hat, all diese Dinge. Aber du wirst die 80 % Grenze nicht überschreiten können, weil das, was darüber geht, das kannst du nicht nur aufgrund deiner eigenen Erkenntnisse, das kannst du nur, wenn du eine größere Datenmenge anders bearbeitest, so wie wir es diskutiert haben. Also das wären die beiden Fragen. Wovon hängt es ab, auf welcher Seite? Und haben die einen da nicht so eine gläserne Decke bei 80 %?
Marina:
Super spannend. Die zweite Frage fällt mir auf jeden Fall leichter zu beantworten als die erste.
Michael:
Dann fangen wir damit an.
Marina:
Ja, ich glaube, wenn ich meine Ernährung auf dem Zufallsprinzip basiere oder auf den Erkenntnissen meiner Oma, dann werde ich nicht über die 80 % hinauskommen, außer ich habe einen Zufallstreffer.
Michael:
Ja, ein Lucky Punch geht immer.
Marina:
Weil, wenn wir uns rein zufällig ernähren und das Beispiel ist jetzt irgendwie, ich weiß nicht, morgens irgendwie Cornflakes mit Milch, mittags Pasta mit Tomatensoße, abends Abendbrot, dann werden wir nicht ein rundum optimales Blutbild zum Beispiel haben. Das heißt, wenn unser Ziel jetzt wäre, so alt zu werden wie möglich, würden wir ein paar Prozentpunkte an Potenzial auf der Strecke lassen. Es kann aber auch einfach eine bewusste Entscheidung sein und sagen, das ist mir wurscht, ich will halt essen, was ich essen will, diese komische Blutwerte-Perfektion und das möglichst alt werden und dieses ganze Optimieren möchte ich einfach nicht. Und das verstehe ich total.
Michael:
Mhm, freie Entscheidung.
Marina:
Genau. Wovon hängt es jetzt ab, zu welcher Gruppe ich mich zugehörig fühle? Finde ich super schwierig, hätte ich jetzt auch spontan keine Antwort. Es gibt ja jetzt aktuell schon eine Zielgruppe, die von der Wirtschaft ja auch eingegrenzt wird und die heißen die LOHAS, die Menschen, die dem Lifestyle of Health and Sustainability folgen. Das sind die Menschen, die sehr gerne diese technischen Gadgets verwenden, die ein hohes Interesse haben, die diese Daten sehen wollen. Die werden sicherlich offen sein für die Zukunft der digitalisierten, personalisierten Ernährung.
Michael:
Ich würde die Frage gerne nochmal andersrum drehen. Also es hat ja offensichtlich was mit mit Werten, mit Einstellungen, mit unserem Selbstbild zu tun. Und das steht uns jetzt gar nicht zu, das irgendwie zu beurteilen oder zu sagen, das eine ist besser ist, das andere schlechter, um Gottes Willen, gar nicht. Aber es wäre eine interessante Frage, ob das zum Beispiel eine Frage von Einkommen und Wohlstand ist. Also werden wir eine Situation haben, wo die einen ernährungsbasiert eine erheblich größere Chance haben, länger gesund zu leben und die anderen eben nicht, weil sie nicht mitspielen können? Oder ist das keine Frage der wirtschaftlichen Kraft?
Marina:
Die Frage ist jetzt leicht zu beantworten. Also das ist auf jeden Fall so, dass es von der wirtschaftlichen Situation abhängig wird, wie sehr man so ein digitalisiertes System nutzen kann, zumindest für einen gewissen Zeitraum. Weil ich davon ausgehe, dass diese Services am Anfang immer teurer sein werden und nicht jeder kann den vernetzten Backofen oder vernetzten Kühlschrank sich reinstellen. Dann gibt es immer Menschen, die haben ein technologisches Interesse und die Kaufkraft, um sich das reinzustellen, die werden das als erstes verwenden, als erstes ihre Blutbilder analysieren lassen, als erstes die Ernährung optimieren lassen. Die Services werden, wie viele Dinge Stück für Stück erschwinglicher, sobald die Technologie auch weiterentwickelt ist und sie eher zum Massenprodukt werden. Aber ich glaube, dass die Early Adopter definitiv solche Menschen sein werden, die auch auf der einen Seite die Kaufkraft dafür haben, auf der anderen Seite auch die Bereitschaft, ihr Geld genau für diese Dinge auszugeben, weil sie schon ein technologisches Grundinteresse haben. Und dann dauert das halt weitere fünf bis zehn Jahre, bis sowas irgendwie in der breiteren Masse dann auch angekommen ist und preislich gut verfügbar ist.
Michael:
Das heißt, neben allem anderen, was wir heute besprochen haben, haben wir auch eine gesellschaftliche Ebene dieses Themas, das wir uns wahrscheinlich ganz proaktiv die Frage stellen müssen, wie können wir eigentlich Ernährungsgerechtigkeit herstellen? Weil nur weil jemand in eine reiche Familie geboren ist, deswegen soll jemand mehr Anrecht darauf haben, älter und gesünder zu leben? Finde ich jetzt persönlich nicht unmittelbar einleuchtend, das mögen andere Menschen, je nachdem, in was für Familien sie reingeboren werden, anders sehen. Aber das gibt uns sicher noch mal ein Thema, was wir auch gesellschaftlich diskutieren müssen.
Marina:
Auf jeden Fall.
Michael:
Zum Schluss gucken wir doch einfach noch mal auf die Entwicklungsschritte. Wir haben jetzt viel über die weiter entfernt liegenden gesprochen. Wenn wir auf die gucken, die etwas dichter vor uns liegen, also die sich in den, sagen wir mal, im Laufe der 20er-Jahre materialisieren werden. Wo ist da etwas, wo du sagst, auf den Schritt warte ich eigentlich wirklich besonders, darauf freue ich mich, wenn dieses endlich möglich wird. Was ist “dieses”?
Marina:
Mhm. Ich hatte ja vorhin erzählt von den kontinuierlichen Blutglukose-Messsensoren.
Michael:
Ja.
Marina:
Ich hätte gerne genau so eine kleine Mess-Kanüle, die nicht nur einen Parameter, sondern viele Parameter zeitgleich messen kann. Das wäre für mich so neben den Wearables, die es jetzt schon gibt, wie Schlaftracker und Aktivitätstracker, so ein ganz entscheidender Schritt, quasi ein Blutwert-Tracker.
Michael:
Der multiple Daten gleichzeitig und kontinuierlich erhebt, permanent digital vernetzt ist und das eben nicht nur punktuell macht, sondern 24 Stunden am Tag.
Marina:
Genau. Zum Beispiel für Glukose, was es ja schon gibt, Ketonkörper, was es bald geben wird, aber auch für Cortisol, Testosteron, Progesteron. Das wäre wirklich ein Riesenschritt für unseren Bereich.
Michael:
Ruf mich an, wenn es so weit ist. Marina Lommel, Gründerin von Foodpunk. Wer über Foodpunk zu wenig weiß oder das Gefühl hat, jetzt mehr wissen zu wollen Links usw. finden sich selbstverständlich alle in den Shownotes. Ich danke dir ausdrücklich für deine Zeit und die Gedanken.
Marina:
Dankeschön!